EFS Consulting
12.02.2025

Ist „Agil“ tot? – Spoiler: Nein, aber …

In diversen sozialen Medien häufen sich Artikel und Videos, die lautstark verkünden „Agil ist tot“. Was steckt dahinter? Auf welche realen Phänomene beziehen sich diese Erfahrungen? Wie können Unternehmen vermeiden mit einer agilen Transformation zu starten und mit etwas „Totem“ zu enden?

Was steckt hinter „Agile is dead“?

Immer mehr Unternehmen setzen verstärkt auf agile Ansätze. Viele sehen, dass ihre bisherigen Vorgehensweisen immer unzuverlässiger die gewünschten Ergebnisse liefern, andere möchten sich als hipp und agil nach außen präsentieren, um so talentierte Mitarbeitende und Investor:innen anzulocken.

Eine agile Transformation ist jedoch weitaus mehr als eine klassische Umstrukturierung und das Einführen neuer Arbeitsmethoden, wie das Durchführen von StandUps und das Nutzen eines Jira-Backlogs. Um agil zu arbeiten, braucht es ein entsprechendes Mindset mit den dazugehörigen Werten und Prinzipien.

Nun lassen sich aber Werte und Prinzipien nicht direkt in Handlungen übersetzen, vor allem wenn diese davor nicht gelebt wurden. Agile Frameworks versprechen konkrete Strukturen und Abläufe zu implementieren, um das Mindset ins Leben zu bringen. Werden die Frameworks – egal welches – jedoch ohne Verständnis des zugrundeliegenden Mindsets implementiert, kann und wird einiges schiefgehen und das Ergebnis ist alles andere als agil – im Sinne von beweglich, fit und schnell.

 

Cargo Cult, Agiles Theater und Zombie Scrum

Diese Begriffe haben sich für misslungene „agile“ Implementierungen etabliert, die sich vom Kern der Agilität gelöst haben. Sie beschreiben unterschiedliche Facetten desselben übergreifenden Phänomens: Agilität wird auf Oberflächenstrukturen reduziert, ohne die dahinterliegenden Prinzipien und Werte zu leben. Trotz ihrer Gemeinsamkeiten unterscheiden sich diese Begriffe in Bedeutung und Kontext:

  • Cargo Cult Agile beschreibt die Nachahmung agiler Praktiken, wie Daily StandUps oder Retrospektiven, ohne deren Sinn und Funktionsweise zu verstehen. Die Annahme dahinter: Bei einem erfolgreichen Unternehmen stehen die Mitarbeitenden morgens 15 Minuten im Kreis zusammen und kleben Post-its auf Fenster. Also werden auch wir erfolgreich, wenn wir morgens 15 Minuten im Kreis stehen und Post-its an Fenster kleben.
  • Agiles Theater bezieht sich auf Organisationen oder Organisationseinheiten, die nach außen agil wirken wollen – sei es, um modern zu erscheinen oder externe Anforderungen zu erfüllen. Intern läuft jedoch alles wie zuvor, geprägt von Hierarchie, Mikromanagement und fehlendem Vertrauen in Teams. Die Agilität bleibt eine Show.
  • Zombie Scrum beschreibt einen Zustand fehlender Motivation, der Antrieb zur Verbesserung ist verloren gegangen und das Arbeitstempo wird von einer lähmenden Langsamkeit geprägt – ein sehr unnatürlicher Zustand für ein agiles Team.

Bleibt ein Unternehmen an der Oberfläche agiler Methoden hängen, während die notwendige kulturelle Veränderung ausbleibt, resultieren daraus enttäuschte Teams, frustrierte Führungskräfte und keine besseren Ergebnisse – etwas „Totes“ unter der Überschrift „agil“.

Woran erkennt man totes „agil“?

Symptome auf Teamebene

Wenn Mitarbeitende eine oder mehrere der folgenden Fragen mit „Nein“ beantworten, ist dies ein deutliches Zeichen dafür, dass „Agilität“ nur oberflächlich umgesetzt wurde – ohne Bezug zu den dahinterliegenden Werten und Prinzipien:

  • Verstehen die Teams die Bedürfnisse ihrer Kund:innen und arbeiten aktiv mit ihnen zusammen?
  • Können sich die Teams selbstorganisiert auf gemeinsame Ziele hin ausrichten?
  • Liefern die Teams regelmäßig wertvolle und qualitativ hochwertige Ergebnisse?
  • Gibt es ein Umfeld, in dem die Teams sich kontinuierlich verbessern können?
  • Wird das verwendete Framework, z. B. Scrum, von den Teams als hilfreich und effektiv empfunden?

Agiles Arbeiten soll Kund:innennutzen schaffen und gleichzeitig Motivation und Eigenverantwortung fördern. Wenn diese Fragen negativ beantwortet werden, gibt es meist tieferliegende Probleme, die auf ungesunde Arbeitsweisen hinweisen:

Kund:innennutzen wird nicht verstanden

Teams arbeiten an Aufgaben, deren Mehrwert für Anwender:innen unklar ist. Statt kreative Lösungen mit minimalem Aufwand zu entwickeln, entstehen endlose Feature-Listen. So wird das Team zur „Feature-Factory“, die produziert, aber keinen echten Nutzen liefert.

Fehlende Prioritäten und kein Fokus

In einem gut priorisierten Backlog gibt es genau eine wichtigste Aufgabe. Ohne klare Priorisierung wird jedoch alles als gleich wichtig angesehen – und damit letztlich nichts. Teams verlieren sich in Nebensächlichkeiten und schaffen wenig von echtem Wert. Oft werden viel Zeit und Budget aufgewendet, aber das Ergebnis bleibt enttäuschend.

Verantwortung ohne Entscheidungsfreiheit

Teams sollen Ergebnisse liefern, haben aber nicht die Befugnis, wichtige Entscheidungen zu treffen. Hindernisse wie langwierige Genehmigungsprozesse oder unpassende KPIs (z. B. Bezahlung nach Storypoints statt nach Problemlösungen) führen zu Frustration. Wenn Entscheidungen ohnehin von außen kommen, sinkt die Motivation, eigene Ideen einzubringen.

Arbeiten um des Arbeitens willen

Prozesse werden befolgt, weil „es so im Plan steht“, nicht weil sie sinnvoll sind. Teams werden nach Output gemessen (z. B. abgearbeitete Tickets), anstatt nach ihrem Beitrag zur Problemlösung. Das führt dazu, dass Arbeit zum Selbstzweck wird und der Blick fürs Wesentliche verloren geht.

 

Anti-Agile Rahmenbedingungen außerhalb der agilen Teams

Hinderlicher Beauftragungs-Modus

Bezahlung nach Story Points und direkte Beauftragung Einzelner fördern ein arbeitsintensives Mikromanagement, bei dem der Fokus auf der Abrechnung von „gelieferten“ Einheiten liegt, statt auf echten Ergebnissen. Agile Teams können sich so nicht darauf konzentrieren die Ergebnisse mit dem geringsten Aufwand zu erreichen oder Verantwortung für die Ergebnisse übernehmen, sondern werden auf Fließbandarbeit reduziert. Der eigentliche Vorteil agiler Zusammenarbeit, die enge Abstimmung im Team, das gemeinsam mehr als die Summe seiner Mitglieder leisten kann und gemeinsame Verantwortung für ein gemeinsames Ziel übernimmt, geht verloren.

Vergabe von einzelnen Features an den günstigsten Anbieter

Anstatt nachhaltige, langfristig nutzbare Lösungen zu entwickeln, wird die Arbeit an die günstigste externe Ressource vergeben. Diese baut die gewünschten Funktionen, oft ohne Rücksicht auf die Architektur oder Wartbarkeit, und verschwindet nach der Fertigstellung. Statt eines agilen Systems, das auf kontinuierlichen Verbesserungen basiert, entstehen kurzlebige Flickwerke, die mit jedem weiteren Auftrag instabiler werden. Was kurzfristig günstig erscheint, erweist sich langfristig als Hindernis für Innovation und Qualität.

Langsame, langwierige Prozesse außerhalb des Teams

Ein agiles Team, das im Zwei-Wochen-Takt Ergebnisse liefern möchte, wird durch träge externe Prozesse ausgebremst. Wenn beispielsweise die Release-Freigabe sechs Wochen dauert oder Entscheidungswege unnötig kompliziert sind, verliert das Team den Anschluss an Kund:innen und die eigene Motivation. Agilität lebt von kurzen Feedback-Zyklen und schneller Reaktion auf Veränderungen. Langwierige Prozesse, die das Team nicht unter Kontrolle hat und es ausbremsen, machen diesen Vorteil zunichte. Das Ergebnis: Frust im Team und der Verlust der Fähigkeit Fehlentwicklungen frühzeitig zu erkennen und somit Kosten zu sparen.

Kein Budget und Zeit für laufende Verbesserungen

Es bleibt keine Zeit oder kein Budget, um technische Schulden abzubauen, die Architektur zu verbessern oder Prozesse anzupassen. Der Fokus liegt ausschließlich auf neuen Features, während die Grundlage des Produkts langsam verfällt. Agile Teams brauchen Raum für kontinuierliche Verbesserungen, um nachhaltig und qualitativ hochwertig arbeiten zu können. Ohne diese Grundlage wird Agilität zu einem reinen Sprint-Marathon, der zwangsläufig in technischer und menschlicher Erschöpfung endet.

Bürokratische Hürden bei Entscheidungen

Entscheidungen, die eigentlich direkt im Team getroffen werden könnten, müssen durch langwierige Genehmigungsprozesse gebrachtwerden. Sei es die Wahl eines neuen Tools oder die Anpassung einer technischen Lösung – alles erfordert externe Freigaben, die oft Wochen dauern. Statt eigenverantwortlich zu handeln, wird das Team zu passiven Ausführern degradiert. Dieser Verlust an Entscheidungsfreiheit widerspricht den Grundprinzipien agiler Arbeit und zerstört die Dynamik, die notwendig ist, um Innovation voranzutreiben.

Fokus auf Output statt Outcome

Erfolg wird daran gemessen, wie viele Story Points ein Team „abgearbeitet“ hat oder wie viele Features pro Sprint ausgeliefert wurden. Ob diese Arbeit tatsächlich Kundennutzen stiftet, bleibt nebensächlich. Teams geraten so in eine Spirale aus blindem Aktionismus, anstatt die richtigen Probleme zu lösen.  Idealerweise beinhalten die gelieferten Features eine Möglichkeit den tatsächlich geschaffenen Nutzen für die Anwender zu messen. So kann das Team echten, geschaffenen Mehrwert reporten, anstatt Burn-Down-Charts zu optimieren.

 

Erste Hilfe bei Cargo Cult, Agiles Theater und Zombie Scrum

Überwindung von Zombie Scrum

Der Zombie-Scrum-Survival-Guide empfielt folgende Schritte um Zombie-Scrum zu überwinden:

1. Verantwortung übernehmen: Teil der Lösung werden, statt Schuld zuzuweisen.

2. Situation analysieren: Probleme erkennen, Daten sammeln, Relevanz erklären.

3. Bewusstsein schaffen: Probleme aufzeigen und Dringlichkeit vermitteln.

4. Mitstreiter finden: Netzwerke bilden und Unterstützung organisieren.

5. Klein anfangen: Mit kleinen, machbaren Änderungen starten.

6. Positiv bleiben: Fortschritte betonen, Zynismus vermeiden.

7. Erfolge feiern: Kleine Fortschritte würdigen, um motiviert zu bleiben.

8. Hilfe suchen: Externe Unterstützung durch Meetups, Workshops und Expert:innen.

Noch zu wenig greifbar? Im nächsten Absatz folgen konkrete Wiederbelebungsmaßnahmen.

 

3 Konkrete Wiederbelebungsmaßnahmen

Klarheit über das Produkt-Ziel schaffen

Es ist entscheidend, dass im Team Klarheit darüber besteht, welches Ziel mit dem Produkt verfolgt wird. Jeder im Team soll jederzeit die Frage beantworten können:

WER soll mit Hilfe des Produkts in WELCHER SITUATION WAS besser, leichter, sicherer, …, ANDERS MACHEN können?

Dies sollte für jede Zielgruppe und jeden Use Case klar sein.

Oft ist es in „toten“ Settings der Fall, dass diese Information zwar existiert, aber irgendwo stecken geblieben ist. Die Information welcher Mehrwert für welche Zielgruppe erreicht werden soll, hilft die Kund:innen des Produkts sichtbarer zu machen, Fokus zu setzen und Scope-Creep (das schleichende, unkontrollierte Anwachsen von Anforderungen) zu vermeiden.

Ist das Ziel klar, können alle Beteiligten ihre Intelligenz und Erfahrung einbringen, um einen Effektiven Weg dorthin zu beschreiten.

Einsatz von Customer Personas

Customer Personas helfen dabei, die Zielgruppe besser zu verstehen und Empathie für ihre Bedürfnisse zu entwickeln. Es macht einen erheblichen Unterschied, ob ein Produkt für 70-jährige Pensionistinnen oder für 20- bis 25-jährige IT-Studierende gestaltet wird.

Transparenz bei Wartezeiten und Unterbrechungen im Entwicklungs-Value-Stream

Der Entwicklungs-Value-Stream umfasst alle Schritte von der Entstehung einer Anforderung bis hin zum Lernen aus dem Feedback der Nutzer:innen. Wartezeiten und Unterbrechungen in diesem Prozess sichtbar zu machen und zu quantifizieren, ist der erste Schritt diese auch eliminieren zu können. Durch das Beseitigen von Wartezeiten und Unklarheiten im Prozess können Lieferzeiten verkürzt werden, ohne dass die Arbeitsbelastung steigt.

Die Betrachtung des gesamten Entwicklungs-Value-Streams von Anforderung bis Lernen ist eine wertvolle Methode, um Suboptimierungen vorzubeugen und Verbesserungen dort anzusetzen, wo sie den größten Effekt auf die Lieferfähigkeit haben.

Empathie für alle Stakeholder entwickeln

Stakeholder umfassen nicht nur direkte Nutzer eines Produkts, sondern auch andere Teams, Führungskräfte oder externe Partner. Es ist sinnvoll sich die Bedürfnisse, Anforderungen und Abhängigkeiten dieser Gruppen ins Bewusstsein zu rufen, um herauszufinden:

  • Welche Unterstützung wird benötigt, um deren Arbeit zu erleichtern?
  • Wo lassen sich QuickWins identifizieren, die einen Mehrwert schaffen, ohne den Aufwand unverhältnismäßig zu steigern?

Oft sieht ein Team in einem dysfunktionalen Umfeld nur mehr die eigenen Probleme und was sich alles rundherum ändern müsste, damit es „richtig“ arbeiten kann. Diese Übung ermöglicht dem Team sich als Teil der Lösung zu sehen und erleichtert auch Sinn hinter Aufgaben zu erkennen, die vielleicht nicht direkt auf das Produkt einzahlen.

 

Fazit

Wenn hingegen Agilität richtig umgesetzt wird und mit einer Kultur- und Mindset-Veränderung einhergeht, profitieren Unternehmen von den Vorteilen.

Wenn Sie in Ihrem Unternehmen schlechte Erfahrungen gemacht haben, finden Sie unten weitere Ressourcen zur Überwindung der Hindernisse.

Zusätzlich freuen wir uns auf den spannenden Austausch in den Kommentaren, per Nachricht oder persönlich!

 

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