Evaluierung von SAFe®: Eine differenzierte Antwort auf Kritik an SAFe®
SAFe®, das Scaled Agile Framework, ist – laut eigenen Angaben: das weltweit führende Framework für Business-Agilität. SAFe® integriert die Stärken von Lean, Agile und DevOps in einem umfassenden Betriebssystem. Dies hilft Unternehmen im digitalen Zeitalter erfolgreich zu sein, indem innovative Produkte und Dienstleistungen schneller, vorhersehbarer und mit höherer Qualität geliefert werden.
SAFe® wird oft dafür kritisiert, mehr rigide als agil zu sein. Kritiker:innen argumentieren, dass es lediglich traditionelle Phasen- bzw. Wasserfallmodelle unter dem Deckmantel der Agilität versteckt. Aber ist diese Kritik gerechtfertigt, oder bietet SAFe® unter bestimmten Bedingungen doch erhebliche Vorteile? Dieser Artikel untersucht die Wirksamkeit von SAFe® zur Förderung von Business-Agilität und dessen Einfluss auf die Wertschöpfung.
Die Essenz von Agilität im Unternehmenskontext
Zunächst ist es wichtig zu verstehen, dass das primäre Ziel jedes Unternehmens, egal ob Produktionsbetrieb oder Non-Profit-Organisation, darin besteht, für seine Kund:innen wertvolle Produkte und Dienstleistungen zu liefern. In einem zunehmend volatilen Umfeld, das von rasanten technologischen Entwicklungen und sich verändernden Marktbedingungen geprägt ist, wird Agilität entscheidend. Diese Umstände führen unter anderem zu sich verändernden Kund:innenbedürfnissen und -präferenzen, was die Frage aufwirft: „Was macht ein „wertvolles Produkt“ aus Kund:innensicht aus?“ Agilität ist die Fähigkeit eines Unternehmens unter diesen Rahmenbedingungen fortlaufend wertschaffend und wertschöpfend agieren zu können.
Statt zu fragen, „Ist SAFe® wirklich agil?“, ist es hilfreich zu betrachten, inwieweit SAFe® die Fähigkeit eines Unternehmens verbessern kann, unter komplexen, veränderlichen Rahmenbedingungen erfolgreich zu sein.
Wie SAFe® die Lieferung von für Kund:innen wertvollen Produkten und Dienstleistungen unterstützt
Die einfachste Ausbaustufe von SAFe® ist Essential SAFe®. Diese Konfiguration umfasst einen Agile Release Train (ART), der eine Gruppe von bis zu 125 Personen in 5–12 cross-funktionalen Teams zu einem ein gemeinsames Ziel verfolgendes Team aus Teams zusammenfasst. Diese Teams treffen sich etwa vierteljährlich zu einem zweitägigen Big-Room-Planning. Dieses Event, PI-Planning genannt, dient der Koordination und Planung in Bezug auf die übergeordneten Ziele, dem Managen von Abhängigkeiten zwischen dem Team und dem Risikomanagement.
Trotz berechtigter Vorbehalte, wie eine vierteljährliche Planung „agil“ sein kann, unterstützt diese Struktur schnellere und häufigere Anpassungen und Abstimmungen im Vergleich zu einem klassischen Wasserfallansatz. Damit es nicht nur Wasserfall mit etwas besserer Abstimmung wird, ist es wichtig den Teams Raum zu geben, um Arbeit einzuplanen, die zum Zeitpunkt des PI-Plannings noch nicht bekannt ist, um PI-Ziele zu erreichen. Es braucht Raum und Zeit, um den Plan entsprechend neuer Erkenntnisse anzupassen.
Typische Situationen vor der SAFe®-Transformation
Viele Organisationen arbeiten in Silos mit minimaler Kommunikation zwischen Abteilungen, was die Fähigkeit auf Unerwartetes reagieren zu können stark einschränkt. SAFe® zielt darauf ab, alle Beteiligten, die es für die Entwicklung eines Produktes braucht, zusammen zu bringen, um Ziele abzustimmen, mit Abhängigkeiten umgehen zu können und direkte Kommunikationswege zu eröffnen. Selbst ohne weitere Veränderungen kann eine solche Ausrichtung die betriebliche Effektivität signifikant steigern.
Wichtige Faktoren zur Erreichung ausreichender Agilität
Fokus auf Kund:innenzufriedenheit
Der wichtigste Indikator für den Erfolg eines Unternehmens ist die Fähigkeit, Wert für Kund:innen zu schaffen. Schnelles, regelmäßiges Feedback und eine enge Zusammenarbeit mit den Kund:innen steigern deren Zufriedenheit. Weiters macht enge Zusammenarbeit und kurze Feedbackschleifen über die Wirkung ihrer Arbeit auch die Entwickler:innen zufriedener und den Prozess kosteneffizienter.
Agiles Arbeiten spart nicht dadurch Kosten, indem es die gleiche Leistung schneller liefert. Agiles Arbeiten ist kosteneffizienter, indem es früh zeigt, welche Produktteile den meisten Wert bringen und welche nicht. Der Fokus auf kontinuierliches Lernen und Anpassen lenkt die Anstrengungen auf das Wesentliche. Starkes Product-Ownership verhindert außerdem Scope Creep, also das immer mehr und mehr Wünsche zum Backlog hinzukommen, und hält die Entwicklung auf Kurs.
Ein Team ist nur ein Team, wenn es ein gemeinsames Ziel hat
Teams brauchen ein gemeinsames Ziel – sonst sind sie nur eine Gruppe von Personen. Das gilt sowohl für das Team als auch für die Ebene des Agile Release Trains (ART). Es macht nur dann Sinn, einen ART aufzusetzen, wenn die Teams am gleichen Produkt arbeiten oder andere signifikante Abhängigkeiten bzw. gemeinsame Ziele haben. Andernfalls bringt SAFe® viele Meetings, die keinen Mehrwert bieten, da die Beteiligten keine gemeinsamen Themen haben. Die Zusammensetzung der ARTs und Teams, sowie die Kommunikationsstrukturen sollten in Retrospektiven angepasst werden.
Raum für kontinuierliche Verbesserung
„Echte“ oder ausreichende Agilität verlangt häufige und systematische Verbesserungen auf Team- und Organisationsebene. Ein Unternehmen ist dann ausreichend agil, wenn es mit der Komplexität, Volatilität, Unsicherheit und Mehrdeutigkeit seiner Produkte und Bedingungen erfolgreich umgehen kann. SAFe® (Scaled Agile Framework) soll nicht nur als Einführung neuer Praktiken gesehen werden. Es dient als Startpunkt, um die Fähigkeit zur kontinuierlichen Anpassung und Verbesserung zu etablieren.
SAFe® nutzt Methoden, die für hoch-agile Unternehmen möglicherweise träge wirken. Aber SAFe® will nicht Unternehmen wie Spotify oder Amazon noch agiler machen, die bereits mehrmals täglich neue Funktionen liefern können. Es dient traditionell strukturierten Organisationen bei den ersten Schritten zu einer dynamischen, agilen Arbeitsweise.
Raum für ungeplante Arbeiten und neue Erkenntnisse
Verständnis und Unterstützung der Führungsebene sind entscheidend für erfolgreiche agile Praktiken. Führungskräfte müssen erkennen, dass nicht alles im Voraus planbar ist. Sonst wären agile Methoden unnötig. Dementsprechend kann die Planung nicht alle verfügbaren Kapazitäten auslasten. Diese Flexibilität ist essenziell, um eine gesunde Basis für agiles Arbeiten herzustellen, auch bei PI-Plannings mit SAFe®.
Respekt für jene Menschen, die die Arbeit machen
Kein Framework, auch nicht SAFe®, kann fehlendes Vertrauen über Nacht beheben. Während das Management agile Methoden manchmal als Entschuldigung für unverbindliches Verhalten sieht, empfinden Entwickler:innen „Agile“ oft als Form des Mikromanagements. Diese Probleme sind jedoch keine Eigenschaft eines bestimmten Frameworks – sie sind kulturelle Herausforderungen. Der wahre Wert von Frameworks wie SAFe® liegt nicht in den Rollen und Prozessen selbst, sondern darin, eine umfassendere kulturelle Transformation zu unterstützen.
Erfahrene Scrum Master und Coaches spielen eine entscheidende Rolle, um Empathie, Verständnis und Vertrauen in der Organisation zu fördern. Eine Kulturveränderung erfordert mehr Zeit und Einsatz als die bloße Implementierung neuer Rollen und Prozesse. Sie ist jedoch möglich, wenn sich die Führungsebene dafür einsetzt. SAFe® unterstützt diese Transformation mit klar definierten Elementen, die über die vorgegebene Struktur hinausgehen und kulturellen Wandel in der gesamten Organisation verankern sollen:
- LACE (Lean-Agile Center of Excellence): Ein spezielles Team, das die Transformation in der gesamten Organisation vorantreibt.
- IP-Sprints (Innovation und Planung): Zeitfenster für Innovation, Planung und Puffer zur Erfüllung zugesagter Arbeit, um nachhaltige Ergebnisse zu fördern.
- Rollen wie RTEs (Release Train Engineers) und Scrum Master/Team Coaches: Förderer der kontinuierlichen Verbesserung, die Teams beim Lernen und Anpassen unterstützen.
- Capacity Allocation: Geplante Zeit, um technische Schulden, Wartungsarbeiten und die allgemeine Lieferfähigkeit zu verbessern.
- Build-In Quality: Der Fokus liegt darauf, Agilität nicht nur in die Arbeitsweise, sondern auch in die Produktarchitektur und Qualitätsstandards zu integrieren.
- Self-Assessments: Fragebögen zur systematischen Identifizierung der größten Hindernisse und Verbesserungspotentiale.
Durch die Einbindung dieser Elemente ermöglicht SAFe®, über oberflächliche Veränderungen hinauszugehen und bietet ein Framework, das eine kulturelle Transformation unterstützen kann. Es wird kaum von Anfang an perfekt sein, aber SAFe® bietet verschiedene Mechanismen, um Feedback von den Menschen, die die Arbeit leisten, zu sammeln und auf dessen Basis Verbesserungen umzusetzen.
Agile Transformationen mit SAFe®: Eine kontinuierliche Reise
SAFe® ist nicht für hochagile Organisationen wie Spotify oder Amazon gedacht, die bereits ihre eigene agile Arbeitsweise entwickelt haben. Es ist jedoch speziell auf große, traditionell strukturierte Unternehmen zugeschnitten, die am Anfang ihrer agilen Transformation stehen. SAFe® integriert bewährte Lean-Agile-Prinzipien, um eine agile Transformation effektiv zu starten. Wenn ein Unternehmen bereits eine effektivere Methode hat, muss es nicht die Vorgaben von SAFe® nutzen. Für viele bietet SAFe® jedoch einen wertvollen Einstiegspunkt.
Ist SAFe® der richtige Ansatz für Ihr Unternehmen?
Setzt Ihr Unternehmen bereits die Werte und Prinzipien um?
SAFe® basiert auf Werten, einer lean-agilen Denkweise und Prinzipien. Jedes Element im SAFe®-Framework unterstützt mindestens einen der Werte und/oder mindestens eines der Prinzipien. Beispielsweise fördern Backlogs auf verschiedenen Ebenen „gemeinsame Ausrichtung“ und „Transparenz“. Sie folgen auch dem Prinzip der „ökonomische Sichtweise“ durch eine wirtschaftliche Priorisierung.
Wenn Ihr Unternehmen bereits erfolgreich mit diesen Werten und Prinzipien arbeitet, ist es gut, wie es ist. Stärkt eine aktuelle Umsetzung dieser SAFe®-Elemente Ihr Unternehmen nicht in der Fähigkeit diese Werte und Prinzipien zu leben, erfüllen sie ihren Zweck nicht. Das ist ein klares Signal, Aufgabenstellung, Strukturen und Prozesse zu überprüfen und anzupassen.
Funktionieren Ihre Prozesse?
Falls Ihre Prozesse zur Finanzierung und Entwicklung neuer Produkte grundsätzlich funktionieren und nur etwas effizienter sein könnten, sind Sie möglicherweise mit einem schlanken, systemischen Verbesserungsansatz wie Flight Levels besser beraten.
Wenn Ihre Prozesse bereits scheitern, kann die starre Struktur von SAFe® als „Gipsverband“ wirken, um die kaputten Prozesse zu stabilisieren. Mit der richtigen Intention, Unterstützung der Führung und einem Verständnis der grundlegenden Prinzipien hilft SAFe®, die Fähigkeit zur Wertschöpfung wiederherzustellen. SAFe® schafft klare Verantwortlichkeiten, Strukturen und einen Rahmen für systematische Verbesserungen. Es ist wichtig, dass die Führungsebene Hindernisse beseitigt. Andernfalls bleibt SAFe® Gipsverband für gebrochene Prozesse und kann nicht dazu beitragen, die Arbeitsweise insgesamt zu verbessern.
Müssen Sie in eine gemeinsame Sprache investieren?
SAFe® bietet eine gemeinsame Sprache für Rollen, Fähigkeiten und bestimmte Elemente, um Agilität zu fördern. Dies ist besonders hilfreich, wenn Sie interne Maßnahmen priorisieren und abstimmen müssen. Es ermöglicht Ihnen auch, Mitarbeitende gezielt für bestimmte Funktionen einzustellen und auszubilden. Selbst wenn Sie wenig von der Framework-Struktur selbst benötigen, ist es nützlich, ein gemeinsames Verständnis von Prinzipien und Begriffen wie „Build-In Quality“, „Release on Demand“ und Ähnlichem zu haben.
Fazit: Eine ausgewogene Sichtweise auf SAFe®
Als Agile Coach oder Scrum Master, der auf allen Organisationsebenen arbeitet, ist es entscheidend, SAFe® mit einer differenzierten Perspektive zu betrachten. SAFe® hat erfolgreich viele agile Methoden in einem mehrschichtigen Framework zusammengefasst. Statt die Agilität von SAFe® infrage zu stellen, sollten wir uns darauf konzentrieren, ob es die Arbeitsabläufe und die Fähigkeit zur Wertschöpfung im Unternehmen verbessert. Für Organisationen mit einer fortgeschrittenen agilen Praxis bietet SAFe® nur begrenzte Vorteile, für traditionell strukturierte Unternehmen am Beginn ihrer agilen Transformation hat SAFe® jedoch sehr viele Vorteile. Einzelne Komponenten, wie der DevOps Health Radar, liefern unabhängig vom Reifegrad wertvolle Erkenntnisse für systematische Verbesserungen.
Weiterlesen
SAFe® Homepage:
https://scaledagileframework.com/
DevOps Health Radar:
https://scaledagileframework.com/devops/#:~:text=fast%20incremental%20progress.-,DevOps%20Health%20Radar,-Figure%205.%20The
SAFe® Kritik:
https://safedelusion.com/
Satire:
https://www.lafable.com/