Agile Führung: Bedeutung, Prinzipien und Erfolgstipps
Was macht Führung zu „Agiler Führung“?
Bevor diese Frage geklärt werden kann, ist es gut, in Erinnerung zu rufen, worum es bei Agilität überhaupt geht. Es geht nämlich nicht darum die schnellsten Sprints zu laufen oder möglichst viele Agile Release Trains auf Schiene zu bringen, sondern darum, in einer immer komplexer werdenden, sich immer schneller verändernden Welt mit mehrdeutigen Situationen und flüchtigen Gelegenheiten geschäftstüchtig und mehrwertschaffend agieren zu können. Diese Rahmenbedingungen sind als Volatile, Uncertain, Complex, Ambiguous (VUCA) bekannt und verlangen nach einer tiefgreifenden Transformation und Weiterentwicklung des Unternehmens.
Anforderungen durch VUCA
In dieser hochkomplexen, mehrdeutigen, sich rasant verändernden Welt hat keine einzelne Person mehr alle Informationen und Sichtweisen zur Verfügung, um gute Entscheidungen für alle Beteiligten treffen zu können. Vielmehr kommt es darauf an Rahmenbedingungen zu schaffen, so dass möglichst viele verschiedene relevante Informationen und Betrachtungsweisen in Entscheidungen einfließen können, dabei gleichzeitig Entscheidungsprozesse zu beschleunigen und Feedbackschleifen möglichst kurz zu halten.
Traditionelle Führungskräfte in VUCA
Mehr Entscheidungen schneller treffen und dabei Personen mit vielfältigem Hintergrund und Know-how einbeziehen. Wie soll das funktionieren?
Das Bild der Führungskraft, die immer weiß, was zu tun ist und ihren Mitarbeitenden Anweisungen gibt, ist noch weit verbreitet. Eine Führungskraft, die nach diesem traditionellen Bild agiert, ist jedoch kaum noch wirksam, wenn
- ihre Mitarbeiter:innen mehr von Thema verstehen als die Führungskraft selbst,
- schnelle Anpassungen und Entscheidungen mit spezifischem Know-how erforderlich sind,
- vielfältige Perspektiven und Fachkenntnisse benötigt werden,
- das Team eigenständig und kreativ arbeiten muss,
- Vertrauen und Zusammenarbeit im Team gefördert werden sollen,
- komplexe und unvorhersehbare Herausforderungen auftreten,
- eine offene und flexible Arbeitsumgebung notwendig ist.
Warum macht Agile Führung Sinn?
Eine gute agile Führungskraft ist in komplexen und schnell veränderlichen, mehrdeutigen Umfeldern effektiv. Dies gelingt, wenn sie Rahmenbedingungen schafft die den Mitarbeitenden ermöglichen, effektiv zusammenzuarbeiten, um gemeinsame Ziele zu erreichen. Agile Führungskräfte schaffen ein unterstützendes Umfeld, in dem Teams autonom agieren, kontinuierlich lernen und sich verbessern können.
Dies setzt völlig andere Fähigkeiten voraus, als eine „traditionelle Führungskraft“ mitbringt, um bekannte Arbeit an ihre Mitarbeitende zu verteilen.
„Agile Führung“ vs. „Klassische Führung“
Die Unterschiede zwischen dem traditionellen Führungsstil und einem agilen Führungsstil sind signifikant und reflektieren die unterschiedlichen Werte, Ziele und Betrachtungsweisen, die in traditionellen und agilen Umgebungen verwendet werden.
Definition von Agiler Führung
Agile Führung ist ein Führungsansatz, bei dem es im Kern darum geht, Flexibilität, Anpassungsfähigkeit und kontinuierliche Verbesserung zu fördern, während gleichzeitig ein hohes Maß an Mitarbeiter:innen-Beteiligung und Empowerment sichergestellt wird.
Definition von Traditioneller Führung
Traditionelle Führung hingegen ist ein Führungsstil, der sich durch klare Hierarchien, zentralisierte Entscheidungsfindung und strikte Kontrolle auszeichnet. Führungskräfte haben die Hauptverantwortung für die Planung, Organisation und Kontrolle der Arbeitsprozesse, während Mitarbeitende spezifische Aufgaben innerhalb eines festgelegten Rahmens ausführen.
Hauptunterschiede von agiler und traditioneller Führung
Hier ein Überblick über die Hauptunterschiede der beiden Ansätze in Bezug auf verschieden Merkmale, die für das Führungsverhalten relevant sind:
Merkmale | Traditionelle Führungskraft | Agile Führungskraft |
Fokus | Arbeit soll “richtig” erledigt werden | Rahmenbedingungen schaffen, damit Mitarbeitende möglichst effektiv arbeiten können |
Fachkompetenz | Kann die Arbeit der Mitarbeitenden übernehmen und meist besser durchführen als diese selbst | Mitarbeitende haben meist weitaus tiefere fachliche Kompetenz als Führungskraft |
Qualitätssicherung | Führungskraft kontrolliert die Qualität der Arbeitsergebnisse | Mitarbeitende setzen kooperativ Qualitätsstandards, zu deren Einhaltung sie sich selbst verpflichten |
Arbeitsaufteilung | Führungskraft teilt die Ziele in kleinere Aufgaben und weist diese ihren Mitarbeitenden zu | Führungskraft stellt mit den Mitarbeitenden gemeinsam sicher, dass die Ziele realistisch und sinnvoll sind. Die Mitarbeitenden organisieren selbst die Arbeitsaufteilung |
Entscheidungsfindung | Zentralisiert: Führungskraft trifft die Entscheidungen mit mehr oder weniger Einbeziehung der Mitarbeitende | Dezentralisiert: Führungskraft sorgt für Ausrichtung auf gemeinsames Ziel und überlässt den Teams die Entscheidungen zur Erreichung zu treffen |
Leistungsverständnis | Fokussiert auf Leistungen und Fähigkeiten der Einzelpersonen | Sieht Teams als kleinste Leistungseinheit eines Unternehmens |
Orientierung | Regeln, Prozesse, Vorschriften, Hierarchien | Werte, Prinzipien und zwischenmenschliche Kooperation |
Ziele | Fokus auf interne Ziele und Kennzahlen | Starker Fokus auf Kundenwert und Feedback |
Agile Führung setzt andere Schwerpunkte und verlagert viel Verantwortung, die traditionell bei der Führungskraft lag, zu den Mitarbeitenden.
Hier eine kurze Gegenüberstellung der Schwerpunkte von traditioneller und agiler Führung.:
Schwerpunkte traditioneller Führung | Schwerpunkte agiler Führung |
Stabilität & Vorhersehbarkeit | Flexibilität & Anpassungsfähigkeit |
Kontrolle der Arbeit | Empowerment & Vertrauen |
Feste Prozesse & Strukturen | Kontinuierliche Verbesserung |
Informationshoheit & Bedarfskommunikation | Transparenz & Offenheit |
Individuelle Leistung | Zusammenarbeit & Teamarbeit |
Agile Führung streicht jedoch nicht die Elemente traditioneller Führung ersatzlos, sondern entwickelt ihre Mitarbeitende darauf hin, viele Elemente der traditionellen Führung, wie z.B. die Sicherstellung der Qualität der Arbeit, selbst zu übernehmen.
Weiters ist es in agilen Umgebungen wichtig, z.B.: sowohl Flexibilität als auch Stabilität zu gewährleisten. Das Ziel ist, Rahmenbedingungen zu schaffen, die bei unvorhersehbaren Ereignissen beides bieten können.
Dadurch wird deutlich, dass die Anforderungen an agile Führungskräfte und Mitarbeiter:innen viel höher sind als in traditionellen Strukturen.
Agile Frameworks bieten hier bereits bewährte Best-Practices für diese Aufgabenstellung.
Vorteile und Nachteile agiler Führung
An dieser Stelle ist wichtig zu erwähnen, dass es nicht sinnvoll ist eine Liste zu liefern, die „agil = gut“ und „traditionell = schlecht“ besagt. Jedoch führen klassische, traditionelle Führungsansätze in komplexen und hochdynamischen Umgebungen kaum noch zu den gewünschten Erfolgen.
Vorteile von agiler Führung:
- Agile Führung ermöglicht effektive Ergebnisse auch unter komplexen und unvorhersehbaren Bedingungen, in denen klassisches Management oft versagt.
- Fördert eine flexible und anpassungsfähige Arbeitsumgebung, die schnell auf Veränderungen reagieren kann.
- Erhöht die Motivation und das Engagement der Mitarbeiter:innen durch erhöhte Autonomie und Verantwortung.
Nachteile von agiler Führung:
- Agile Führung kann herausfordernd und anspruchsvoll in der Umsetzung sein.
- Erfordert kontinuierliche Schulung und Anpassung, was zusätzliche Ressourcen und Zeit beanspruchen kann.
- Kann zu Unsicherheiten und Unklarheiten führen, wenn nicht klar kommuniziert, geschult und strukturiert wird.
5 EFS-Erfolgstipps: Quick-Wins für agile Führung
1. Mit dem Warum starten – dem eigenen Warum
Bei der Entscheidung, mehr Agilität in eine Organisation zu bringen, sollte zunächst mit dem „Warum“ begonnen werden. Es gilt zu klären, was erreicht werden soll, welches Problem mit agilerem Vorgehen gelöst und welche Möglichkeiten besser ausgeschöpft werden sollen.
Die agilen Führungskräfte müssen erst für sich selbst verstehen, warum Veränderungen notwendig sind, und welche Konsequenzen drohen, wenn sie nicht umgesetzt wird, bevor sie ihre Mitarbeitenden überzeugen können. Dann liegt es an ihnen, die Dringlichkeit der Veränderung zu kommunizieren.
2. Ziele von traditioneller Führung und agiler Führung nicht Entweder-Oder sondern als Sowohl-als-auch betrachten.
In agilen Transformationen stehen Führungskräfte nicht vor Entweder-Oder-Entscheidungen sondern vor Sowohl-als-auch-Fragestellungen.
Die besten Ergebnisse können erzielt werden, wenn die Mitarbeitenden in die Beantwortung der Fragestellungen einbezogen werden und die dafür nötigen Richtlinien und Rahmenbedingungen aktiv definieren.
- Wie können wir Flexibilität und Anpassungsfähigkeit sicherstellen und gleichzeitig für die notwendige Stabilität und Vorhersehbarkeit sorgen?
- Wie können wir Teams empowern und vertrauen und gleichzeitig die Qualität der Arbeitsergebnisse sicherstellen?
- Wie können wir uns kontinuierlich verbessern und trotzdem auf lebbare Prozesse und Strukturen bauen?
- Wie können wir Transparenz und Offenheit leben, ohne die Mitarbeitenden mit Informationen zu überschwemmen und sicherstellen, dass Firmengeheimnisse und Datenschutzbestimmungen gewahrt bleiben.
- Wie können wir Zusammenarbeit und Teamarbeit fördern, ohne die individuellen Leistungen zu ignorieren?
3. Die Absicht und den Kontext klar machen
Anstatt detaillierte Anweisungen zu geben, sollten Führungskräfte den Kontext und die Absicht hinter den Zielen und Aufgaben klar darlegen. Dies ermöglicht den Mitarbeiter:innen, informierte Entscheidungen zu treffen und Verantwortung zu übernehmen. In einer agilen Umgebung ist dies besonders wichtig, da es Flexibilität und Anpassungsfähigkeit fördert.
Hat die Führungskraft bisher das Herunterbrechen der Aufgaben für das Team übernommen, kann es für die Mitarbeiter:innen sehr überfordernd wirken. Idealerweise unterstützt die Führungskraft anfänglich das Team beim Definieren der Aufgaben, um die gewünschten Ziele zu erreichen und nimmt sich nach und nach mehr zurück bzw. verschiebt ihre eigenen Aufgaben in Richtung Klärung der Ziele und Kund:innen-Bedürfnisse sowie der Beseitigung von Hindernissen für das Team.
4. Die eigene Sichtweise auf die Mitarbeitenden überprüfen
Je nach dem, welches Bild man als Führungskraft von seinen Mitarbeitenden hat, wird man entsprechende Rahmenbedingungen schaffen, so dass sich diese dem Bild entsprechend verhalten werden. Hier sind die Theorie X und Y des Sozialpsychologen Douglas McGregor eine hilfreiche Betrachtungsweise.
Theorie X geht davon aus, dass Mitarbeiter:innen grundsätzlich faul sind, Arbeit vermeiden und nur durch strenge Kontrolle und Bestrafung motiviert werden können. Führungskräfte, die dieser Theorie folgen, tendieren zu einem autoritären Führungsstil und glauben, dass:
- Mitarbeiter:innen keine Verantwortung übernehmen wollen.
- Mitarbeiter:innen wenig Ehrgeiz zeigen und es bevorzugen, angeleitet zu werden.
- Ständige Überwachung und klare Anweisungen notwendig sind, um die gewünschte Leistung zu erreichen.
Theorie Y hingegen geht von einem positiven Menschenbild aus und besagt, dass Mitarbeitende
- Arbeit als natürlich und erfüllend empfinden können.
- Motivation und Engagement zeigen, wenn sie sich mit den Zielen des Unternehmens identifizieren.
- Verantwortung übernehmen und kreative Lösungen finden, wenn sie die Möglichkeit dazu haben.
Die Sichtweise und die zugrunde liegenden Annahmen darüber, wie Mitarbeitende sich verändern, ist ein längerer Weg. Der erste Schritt liegt darin zu erkennen, unter welchen Umständen man dazu neigt, zu glauben, dass die eigenen Mitarbeitenden der Theorie X entsprechen und welche Alternativen es geben könnte, um das beobachtete Verhalten zu erklären.
5. Phasen- und Reifemodelle im Führungsstil berücksichtigen
Agile Teams sowie auch gesamte Organisationen unterliegen einer Entwicklung. Die Kenntnis von unterschiedlichen Modellen, um diese Entwicklung zu verstehen, ist ein nützliches Tool für agile Führungskräfte. An diese Stelle möchte ich auf folgendes Zitat verweisen:
Die angeführten Modelle sind nur eine grobe Skizze, aber eine nützliche.
Das Tuckman-Modell beschreibt vier Phasen der Team-Entwicklung: Forming, Storming, Norming, Performing. Die Phasen beziehen sich auf die Interaktionen im Team und die Gruppendynamik. In der Formierungs- und Sturmphase unterstützen agile Führungskräfte durch klare Visionen und Moderation, während sie in der Normierungs- und Leistungsphase das Empowerment und die Selbstorganisation fördern.
Der Shu-Ha-Ri-Ansatz beschreibt den Lernprozess in Bezug auf die Vorgehensweise: In der Shu-Phase lernen Teams grundlegende Praktiken, in der Ha-Phase experimentieren sie und in der Ri-Phase meistern sie die Prinzipien und entwickeln neue Ansätze.
Spiral Dynamics ergänzt dies, indem es die evolutionäre Entwicklung des Bewusstseins und der Kultur in Teams berücksichtigt, sodass agile Führungskräfte die unterschiedlichen Werte und Bedürfnisse der Teammitglieder sowie der Gesamtorganisation verstehen und ansprechen können.
Durch die Integration dieser Modelle können agile Führungskräfte ein gutes Verständnis für die individuelle und kollektive Entwicklung ihres Teams erlangen. So werden nicht nur die Ziele der Organisation erreicht, sondern auch das Wohlbefinden und die kontinuierliche Entwicklung der Teammitglieder gefördert.
Fazit
Agile Führung unterscheidet sich deutlich von traditionellen Führungsstilen in Bezug auf Ziele und Schwerpunkte und ist besonders wichtig in komplexen, dynamischen Umgebungen.
Je komplexer, schnelllebigen und unklarer die Situation, umso wichtiger wird es, vielfältige Perspektiven und Fachkenntnisse einzubeziehen und gleichzeitig dafür zu sorgen, dass dies schnell und effektiv geschehen kann. Agile Führungskräfte kommunizieren klare Visionen und Ziele und schaffen Kontext und Absicht hinter den Aufgaben, um Eigenverantwortung und proaktives Handeln zu fördern.
Abschließend kann man sagen, dass agile Führung viele Vorteile bietet, jedoch auch weitaus höhere Anforderungen an Führungskräfte und Mitarbeitende stellt.